Die Grammatik des Plastischen, der Farbe, der Funktion
Elisabeth von Samsonow
Fabian Fink hat operational und gedanklich den Punkt besetzt, von dem aus sich verstehen ließe – wenn es sich denn verstehen ließe – was eine gewölbte Fläche ausmacht, was das Plastische als Qualität wirklich bedeutet und wie es er- und bearbeitet werden muss, damit es in die Sinne kommt wie eine warme, handelnde Hand, die durch den Raum streicht. Dafür steht eine selbstporträthafte Skulptur (S. 50, 51), die mit einem Netz präzise bemalt ist und ein F in der Hand hält: die Schrift und der Körper, die sich aufeinander beziehen. Der Buchstabe ist geschnitzt, skulpiert, ein Holzstabe, die Initialie F. Die reichen Arbeitsplateaus des Künstlers sind in einer Art Stern um einen Nullpunkt des Plastischen angeordnet. Immerfort wird übersetzt, technisch variiert, das Genre gewechselt. Im Sinne einer multimedialen Praxis als Ergebnis einer Ausweitung des Kunstbegriffs in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts greift Fabian Fink zu allem, was sich irgend formen lässt, damit es zu dieser rätselhaften Wölbung kommt, der gewölbten oder ins Räumliche ausgreifenden Fläche, die wie der gespannte Zen-Bogen des plastischen Sinnes, also des Tastens, ist. Der letzte seiner Art – der ausgezeichnete Alumnus der Bildhauerfakultät – wird also wieder zum ersten seiner Art. Fabian Finks wird in dem Maße interessant, in dem sich die Kunst der Gegenwart wieder dem Plastischen und der Wahrheit des Materials zuwendet.
Die Körperreferenz in den figürlichen Arbeiten Fabian Finks ist herausstechend, trotzdem geht es auch hier um die „multimediale“ Einholung der plastischen – im Übrigen auch die Farbe betreffenden – Qualitäten, wenn Fabian Fink nicht nur die Holzbildhauerei auf hohem Niveau ausübt, sondern sich auch der Gussplastik, dem Möbel, allem möglichem „Gebautem“ widmet. Die Bandbreite seiner Ansätze und Werkserien ist beeindruckend. In einer Ausstellung 2014 („Ventura“, Galerie Jünger, S. 90), die dieses Werk in seinen Facetten präsentierte, hatte man Gelegenheit, diese auch so unterschiedlichen Ansätze zu sehen. Man hatte den Eindruck in einer Gruppenausstellung zu sein. In spielerischer Weise nimmt der Künstler immer wie von Neuem Anlauf, wenn es um die Lösung einer Frage geht, so als habe er einen Gruppenauftrag. Es gab dort eine riesige Holzsonnenbrille, einen Schrank, räumliche Steckspiele aus farbigen Plastikelementen, ein paar sehr schöne bronzene Hände, die wirken, als seien sie aus der Burg Friedrichs II. überliefert, etc.
In dieser Hinsicht, was die Dissemination angeht, ist Fabian Fink tatsächlich extrem zeitgenössisch, nahe an dem, was diese Generation ausmacht. Neben den die gute akademische Ausbildung fühlbar werden lassenden Arbeiten, wie beispielsweise das Burgtheaterschauspieler-Porträt als perfektes Relief (S. 10), gibt es die kleinen farbigen Skulpturen (Cover, S. 1–8), die man natürlich zunächst mit den Arbeiten Balkenhols in Verbindung bringt. Beide, Fink und Balkenhol, interessieren sich für zeitgenössische Figuren, Menschen. Aber schon ein kurzer Blick zeigt die Unterschiede zwischen den beiden Künstlern. Finks Figuren sind in der Maßstäblichkeit anders, zwar klein, aber nicht miniaturenhaft, stärker porträtistisch wirkend. Die Bemalung stellt sich als Experiment heraus, das Fink mit KünstlerfreundInnen durchführt. Während sich Balkenhol in dieser Hinsicht auf keine Experimente einlässt, kann man bei Fink studieren, wie radikal die Bemalung die Skulptur verändert. Manche dieser entweder aus Holz oder Gips bestehenden Skulpturen sind weiss, was die Modellierung in besonders schönen Schatten hervorhebt. Andere wiederum werden regelrecht bekleidet, und zwar mit Jugendkultur-Couture, einfallsreich ornamentierten Klamotten, mit Hoodys und Sportanzügen. Eine mittelgroße, an Masaccios Eva erinnernde Frauenskulptur ist mit einem Spinnennetz bemalt, welches einerseits das plastische Volumen auflöst, andererseits es zu berechnen scheint wie der digitale Datensatz eine Skulptur aus dem Rapid Prototyper.
Die Glätte und Ebenmäßigkeit vieler dieser Skulpturen ist auffallend, als wären sie von einem jungen Stern, auf welchem es ganz zarte Wesen gibt: feine Linien in den Gesichtern, die sich in Silhouetten wiederholen, denen man ansieht, dass sie durch vorsichtiges Vorgehen und viel Überlegung zustande gekommen sind. Manche sind daher nah am Puppenhaften im positiven Sinne, d.h. dass man in diesen Skulpturen die vielfältigen Projektionen, die in die figürliche Plastik eingegangen sind, sondieren kann. Was diese Arbeiten jedoch nicht haben, ist die gesteigerte Besetzung durch das Symbolische, mit welchem die Skulptur in ihrer langen Geschichte gewuchert hatte. Es gibt also keine Helden und Götter, keine Götzen und Heroinen, sondern „Leute“, reale Leute, und zwar junge Leute, die ausserordentlich gut wiedergegeben werden.
Falls sie das nicht sind, „reale Leute“, sind sie sogleich phantastisch, wie die beiden gedrungenen Wesen (S. 14), die riesige Augen haben wie Embryonen und einen erinnern an eine fremde Kultur, die es nicht gibt. Oder es sind Objekte, an denen plastische Studien in besonderer Weise gemacht werden, wie zum Beispiel der Wassertropfen aus Gips (S. 20 – 23), der auf einem einfachen kleinen Holzgerüst jene Deformation der Kugel vor Augen führt, die unter dem Einfluss der Schwerkraft in flüssigem Material stattfindet – eine plastische Grundtatsache erster Ordnung. Die in Reih und Glied gebrachten Wassertropfen auf ihren leicht variierenden Haltern gleichen einander wie ein Ei dem anderen – und eben doch nicht. Jeder Tropfen ist als singulärer, als plastisches Ereignis porträtiert.
Im Übrigen, das muss unterstrichen werden, gibt es auch Malerei in diesem vielfältigen Werk, die sehen lässt, dass ein klassisches Thema der Bildhauerei von Fabian Fink neu verhandelt und ernst genommen wird: nämlich die Frage, ob das plastische Werk allein durch das Material oder auch durch eine hinzukommende Fassung zu verfertigen sei. Um eine Skulptur mit einer farbigen Fassung zu versehen, muss man etwas von Malerei verstehen – das ist etwas, was in die Versuche, die Farbkonzepte der griechischen Plastik zu rekonstruieren, leider nicht eingegangen ist. Diese griechischen Plastiken mit rekonstruierter Fassung wirkten wie angemalt, wie mit Plakafarben flächig gestrichen, eben nicht wie bemalt. So wie der Architekt zugleich Astronom und Arzt zu sein hat, muss also der Bildhauer, der seinen Skulpturen eine farbige Fassung verleihen möchte, Maler sein, Zeichner sein übrigens auch. Die Malerei ist entweder auf das plastische Werk bezogen oder nicht, es gibt beispielsweise ein Bild (S. 25), auf welchem jemand eine der gut wiedererkennbaren Skulpturen von Fabian Fink im Arm hält wie ein Kind. Die Synthese von Malerei und Plastizität ist ein trans-fakultatives Wunder, ein mediales Experiment der frühen Kunst, das im post-digitalen Zeitalter von Neuem gedeutet werden will.
Die Hand ist enorm geübt, sie geht leicht durch die Felder von Zeichnung, Malerei und Plastik. Das Skizzenhafte der Zeichnungen hat einen eigenen Reiz, das Nebeneinander klar gezogener Linien und zarter Schraffur, Skizzen für Plastiken, der Sockel wird mitgedacht. Die Haltungen der Figuren werden in den Zeichnungen gefunden: ein Mann, der den Fuß kokett nach vorn anhebt (S. 46, 47), ein Junge, welcher einen anderen auf dem Rücken trägt, einen mit einem riesigen Kopf (S. 48).
Diese Zeichnungen können auch monumental werden, zu Wandobjekten, die ihr eigenes Format und ihre eigene Begrenzungslinie haben (S. 60, 61). Es geht darum, die richtige Linie zu finden, kontrastreiche Zeichnungen bilden die Vorlage, die wie Graffiti wirken. Die auf einer Fläche aufruhende Linie begrenzt den Körper, aber zeichnet auch ein räumliches Verhältnis auf, als Raumillusion, wie bei verhakten Fingern und Kettengliedern (S. 60). Fabian Fink geht technisch durch die Serie der räumlichen Herausforderungen, die man von der Elfenbeinschnitzerei kennt, unter dem Motto: das was mit diesem Material möglich ist, auf die Spitze treiben. Während diese Elfenbeinschnitzerei ineinander geschachtelte Volumina hervorgebracht haben wie ineinander rotierende Kugeln, alles aus ein und demselben Materialblock gemacht, wendet sich Fabian Fink der Kette zu, den Kettengliedern, und produziert eine charmingchain mit riesen Anhängern (S. 17): Köpfe, die in großen Ösen enden, das goldene Vlies, diesmal das einer Katze etc. Für diejenigen, die im plastischen Sinn initiiert sind, die das Problem kennen, ist die Raumfreude nachvollziehbar, die dadurch entsteht, dass die Kettenglieder jeweils im rechten Winkel die Raumrichtung so wechseln, dass die ineinander liegenden Glieder mathematisch auch als Koordinatenachsen einer Galaxie mit non-linearen Eigenschaften aufgefasst werden könnten.
Die Möbel, die diesem Füllhorn von Werkstatt entspringen, tragen eine eigenwillige Handschrift, zwischen radikalem Design und artepovera. Sie sind nicht aufgeblasen, schreien ihre Ideen nicht heraus und entbehren dieses gewisse chichi, durch welches sich Design manchmal wichtig macht. In der stattlichen Reihe der zeitgenössischen Möbelmacher-Künstler, beispielsweise Franz West, Erwin Wurm und Heimo Zobernig – kann Fabian Fink mühelos denjenigen Platz beanspruchen, der dem Erfinder der fragilsten und zugleich nützlichsten Form zusteht.